In der Welt der Langlebigkeitsforschung gibt es regelmäßig neue Wunderstoffe – aktuell sorgt NAD⁺ (Nikotinamidadenindinukleotid) für Aufmerksamkeit. Wer sich mit Zellalterung, Mitochondrien und Energiehaushalt beschäftigt, kommt an diesem Molekül kaum vorbei. Aber was steckt hinter dem wachsenden Interesse – solide Wissenschaft oder übertriebener Optimismus?
Was macht NAD⁺ so besonders?
NAD⁺ ist kein neues Molekül – es existiert in jeder Zelle unseres Körpers und spielt dort eine tragende Rolle. Ohne NAD⁺ läuft der Energiestoffwechsel nicht rund: Es überträgt Elektronen, sorgt für die Funktion der Mitochondrien und ist an der Regulierung der inneren Uhr beteiligt. Außerdem brauchen bestimmte Enzyme, etwa die Sirtuine oder PARPs, NAD⁺, um überhaupt arbeiten zu können – sie wiederum beeinflussen DNA-Reparatur und Alterungsprozesse.
Alterungsprozess und NAD⁺-Abfall
Was den Stoff so interessant macht: Mit steigendem Alter sinkt der NAD⁺-Spiegel im Körper. Manche Forscher glauben, dass dieser Rückgang eine Schlüsselrolle bei altersbedingten Erkrankungen spielt. Tierversuche – vor allem an Mäusen – zeigen, dass eine künstliche Anhebung des NAD⁺-Spiegels positive Effekte haben kann: Die Tiere sind agiler, ihre Organe funktionieren länger und ihr Stoffwechsel bleibt stabiler.
Klingt vielversprechend. Doch hier beginnt das Problem.
Zwischen Tiermodell und Realität
Viele dieser Studien sind methodisch solide – aber sie finden eben nicht am Menschen statt. Und wer schon länger biomedizinische Forschung verfolgt, weiß: Was im Mausmodell funktioniert, tut das beim Menschen noch lange nicht. Bisherige Humanstudien zu NAD⁺-Vorstufen wie NMN oder NR lieferten in der Vergangenheit Hinweise auf eine gute Verträglichkeit, ja – aber klare Belege für einen messbaren Anti-Aging-Effekt? Fehlanzeige.
Nahrungsergänzungsmittel: Zwischen Hoffnung und Marketing
Wer heutzutage NAD⁺ googelt, landet schnell bei Anbietern von Nahrungsergänzungsmitteln. Die Industrie ist hellwach – NMN- oder NR-Kapseln versprechen Leistungssteigerung, Schutz vor Demenz, ein längeres Leben. Die Wissenschaft hinkt hier deutlich hinterher. Zwar mehren sich die Studien, doch bisher gibt es weder Langzeitdaten zur Sicherheit noch zur tatsächlichen Wirksamkeit beim Menschen.
Zudem ist der Mechanismus nicht trivial: NAD⁺ selbst kann nicht einfach geschluckt werden – es muss im Körper aus Vorstufen gebildet werden. Wie gut das bei jedem Einzelnen funktioniert, ist individuell verschieden.
Persönliche Einschätzung
Ich finde die Forschung zu NAD⁺ faszinierend – vor allem, weil sie zeigt, wie komplex Altern wirklich ist. Aber ich bin skeptisch, wenn einzelne Substanzen als die einzige Lösung verkauft werden. NAD⁺ ist wichtig, keine Frage – aber das macht es noch nicht automatisch zu einer verlässlichen Anti-Aging-Therapie, wobei es „Anti-Aging“ meines Erachtens nicht gibt, sondern ich verwende lieber den Begriff „Well-Agging“.
Wegen der neueren Erkenntnisse zu NR (erhöhtes Brustkrebs- und Hirnmetastasenrisiko), rate ich persönlich derzeit von der Verwendung ab, bis die Studienergebnisse von der Arbeitsgruppe um Prof. Elena Goun widerlegt sind. (Quelle)
Fazit:
NAD⁺ ist ohne Zweifel ein faszinierender Bestandteil unserer Biologie. Die bisherigen Erkenntnisse liefern gute Gründe weiterzuforschen. Aber aktuell wird das Thema teilweise überhöht – sowohl wissenschaftlich als auch kommerziell. Wer NAD⁺-Supplemente nimmt, sollte das als Experiment betrachten – nicht als gesichertes Gesundheitsversprechen.