Derzeit besteht die Leitlinien-basierte Standardtherapie des metastasierten Prostatakarzinoms in der Unterdrückung der körpereigenen Hormonproduktion (Androgendeprivation = medikamentöse Kastration); und das seit über 70 Jahren.
80 Prozent aller Prostatakarzinome reagieren anfänglich auf den Entzug der männlichen Hormone. Messbar und kontrollierbar ist das durch Senkung eines vorher erhöhten PSA-Wertes und durch Verkleinerung bzw. völligen Verschwindens von Metastasen der Prostatakarzinoms (= partielle bzw. komplette Remission).
Das Problem dabei: Die Prostatakrebszellen verlieren mit der Zeit ihre Empfindlichkeit/Reaktionsbereitschaft auf die verschiedenen Hormonentzugsstrategien. Dann spricht man von einem kastrations-resistenten metastasierten Prostatakarzinom (CRPC). Es ist im übrigen egal, ob man schon sehr früh oder erst später mit der Hormonentzugsbehandlung beginnt. Auf die limitierte Gesamtüberlebenszeit des metastasierten Prostatapatienten hat es keine Auswirkungen.
In solchen fortgeschrittenen Erkrankungsstadien wird der behandelnde Onkologe/Urologie dann leitliniengetreu zur Chemotherapie raten. Dabei kommen altbekannte Kombinationen von Docetaxel und Prednison zum Einsatz. Deren Erfolgsaussichten sind bescheiden: Der Überlebensvorteil liegt bei lediglich 3 Monaten (wird als „Therapie der Wahl“ bezeichnet) und ein Teil dieser Zeit wird durch die nicht unerheblichen Nebenwirkungen der Chemotherapie belastet. Das beeinflusst die Lebensqualität. Die neue Substanz Cabazitaxel hat unter dem Strich diesbezüglich auch keine wesentlichen Vorteile (siehe link).
In Kenntnis derart bescheidener Therapiemöglichkeiten des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms suchen Forscher und Industriekonzerne mit Hochdruck nach erfolgversprechenderen Möglichkeiten.
Eines der Hoffnungsträger ist die Immuntherapie des Prostatakarzinoms. Das in den USA seit 2010 bereits zugelassene Arzneimittel Sipuleucel-T ist eine der Substanzen, an die große Hoffnungen in der Tumorimpfung geknüpft werden. In einer klinischen Studie mit 512 Patienten mit kastrations-resistenten (= der Hormonentzug wirkt nicht mehr), metastasierten Prostatakarzinom-Patienten konnte ein Überlebensvorteil von immerhin 4 Monaten gegenüber einer Placebo-Behandlung vergleichbarer Patienten erreicht werden. Auch die 3-Jahres-Überlebensrate war in der Sipuleucel-T-Gruppe mit 31,7% gegenüber 21,3% in der Placebo-Gruppe deutlich höher. D.h., nach einem Beobachtungszeitraum von 3 Jahren lebten in der Sipuleucel-T-Gruppe noch 31,7% der Prostatakrebs-Patienten, in der Placebo-Gruppe noch 21,3%. Fazit: Vorteil für den Impfstoff.
Warum haben die Prostatakrebs-Patienten in dieser Impfstudie mit Sipuleucel-T hinsichtlich des Zeitgewinns beim Gesamtüberleben profitiert, während in vorangegangenen Impfstudien mit anderen Impfkonzepten kein Überlebensvorteil für die geimpften Patienten gefunden werden konnte?
Vielleicht liegt es an der Auswahl der Patienten? In dieser Sipuleucel-T-Studie durften nur Prostatakrebs-Patienten mitmachen, die bisher kaum Metastasen, nahezu keinerlei Symptome/Beschwerden hatten und kaum vortherapiert (z.B. mit Chemotherapie und Kortison) waren. Wurde die Aktivität des Immunsystems der Patienten in der Kontrollgruppe eventuell unterdrückt, weil man ein ungeeignetes „Placebo“ gespritzt hatte. Sind dadurch die Ergebnisse in der Sipuleucel-T-Gruppe „geschönt“ worden? Warum konnte unter dieser Therapie bishr keine Reduktion der Tumorgröße beobachtet werden?
Sie sehen, hier sind noch einige Fragen zu diesem Therapiekonzept zu klären. Angesichts der Kosten für Sipuleucel-T (USA: 90.000 USD) sollte dieses Therapieprinzip auch tatsächlich den Effekt beim Prostatakrebs-Patienten bringen, den es postuliert.
Die Effekte einer Immuntherapie beim Prostatakrebs sind erst nach 6-12 Monaten fassbar. Ein Fixieren auf klinische Parameter wie den PSA-Wert oder die progressionsfreie Zeit als Maßstab für die Effektivität dieser Therapieoption scheint falsch zu sein. Bei der Immuntherapie des Prostatakarzinoms wird deshalb der Zugewinn an Gesamtüberlebenszeit als Gradmesser für den Erfolg herangezogen.
Wenn man den Effekt dieser Immuntherapie erst nach 6-12 Monaten feststellen kann, macht es dann Sinn, Prostatakrebs-Patienten zu behandeln, deren Überlebensprognose unter 12 Monaten liegt?
Zur Verträglichkeit des Sipuleucel-T-Impfstoffs: Patienten berichten über grippe-ähnliche Symptome wie man sie von anderen Impfungen kennt.
Derzeit sind noch eine Reihe weiterer Substanzen zur Beeinflussung des Immunsystems bei Prostatakrebs-Patienten in Studien in Erprobung. Zum Teil sind diese Studien jedoch vom Aufbau her mangelhaft und wenig aussagekräftig. Ich werde diese Bemühungen weiter im Auge behalten und Sie in einer der nächsten Ausgaben dieses FAZIT-Newsletters Special Prostatagesundheit darüber informieren.
Kritiker der Sipuleucel-T-Behandlung erhielten in den letzten Monaten teilweise massive Drohungen von „Unbekannt“. Mit Spannung darf darauf gewartet werden, wie die europäische Zulassungsbehörde die bisher bekannt gewordenen Fakten zu Sipuleucel-T bewerten wird. Die Zulassung in der EU wird im Jahr 2013 erwartet. (Winfried Miller)